Dopo il moderno / Nachmoderne
von Antje Freiesleben
in: Massimo Fagioli, Nuova Architettura Razionale/ Neue rationale Architektur, Florenz 2011, S. 42-53
Nachmoderne
Architektur ist schon immer ein Ausdruck der Gesellschaft gewesen.
Also müssen wir uns eigentlich nicht wundern:
Die sich überschlagenden Formexperimente, die heutzutage gebaut werden, und ihre oft unglaublich undurchdachte, lieblose Ausführung sind genauso Produkt heutiger Erziehung und Ökonomie, wie die Banalität der Massenware daneben.
Wir wachsen auf mit einem kaum hinterfragten Glauben an die Perfektion des Bauens durch die Welt der Technik – und sind dabei meist nicht in der Lage, einen Gartenzaun selber zu errichten.
Unsere Welt wird beherrscht durch die völlige Konzentration auf das Visuelle, nur noch die optische Erfahrbarkeit scheint von Bedeutung zu sein. Wir haben heute Bauherren, die sich Kamine einbauen, in denen eine Gasflamme flattert, Holz würde knistern oder gar knacken, zudem noch riechen und dann auch noch Dreck machen!
Wir sehen keinen Sinn in der heutigen Forschung und Entwicklung in vielen Produktionsabteilungen: Fliesen sehen aus wie aus Leder, Plastik sieht aus wie Holz, Beton sieht aus wie Naturstein. Aber warum? Die Möglichkeiten der Materialien an sich sind nicht ausgeschöpft. Haptik, Farbe und Möglichkeiten der Anwendung sind vielfältig und immer wieder neu. Was bleibt uns heute noch zu tasten, zu hören und zu riechen? Fahrstuhlmusik und ein aktueller Modeduft? Fühlen wir uns wirklich nur wohl, wenn der Alltag verschwunden ist?
Uns interessiert das Konkrete und der Umgang damit, nicht das Heilsversprechen einer leuchtenden Zukunft, angepriesen in kitschigen Renderings, auf denen platte Glaswände im Schein der untergehenden Sonne leuchten. Morgen wird alles noch viel besser, wenn wir nur daran glauben – und weiterhin „zu spätmodernen bizarren Formen und Dimensionen aufgeblähte(n) ´Ornament(e) ohne Architektur´“ (Fritz Neumeyer) bauen. Architektur heute will als Bild Auffälligkeit generieren; Auffallen, Anderssein, Ware bleiben.
Immer wieder erstaunt und erschreckt es mich bei der Arbeit mit Studenten, dass sie intuitiv schon nicht mehr das Naheliegende suchen, gar den Konsens mit der Umgebung, sondern vom Andersmachen ausgehen, dem Bruch mit dem Kontext, Auffallen wollen ohne Rücksicht auf Verluste und ohne dass ich es von Ihnen verlangt hätte. Kinder, die in der Schule aufdringlich schnipsen, werden mit guten Noten belohnt. Das haben sie gelernt.
Also wird morgen durch Anderssein und Abheben alles gut? Wohin hat uns das bis heute gebracht?
Vorlaut drängen sich nutznießerische Gebäude in arme, unbedeutende Baulücken, keilen sich mehr oder weniger virtuose Großformen in bestehende Gefüge, werden einfache, innerstädtische Blöcke zur Bebauung mit Einzelbauten aufgeteilt, damit das freistehende Haus, das Individuum zur Geltung kommen kann.
Uns begeistert das alles nicht. Studiert haben wir zur Zeit der sterbenden Postmoderne und des aufkommenden Dekonstruktivismus, unsere Professoren verehrten die Hightech-Architekturen. Abstraktion wurde gelehrt und wird bis heute gebaut und entspricht neben den „Blubs“ der Spätmoderne dem gegenwärtigen Konsens. Häuser sind Kisten, Fassaden sind Strukturen, Wände sind Scheiben, Fenster sind Löcher - und plötzlich erzählen die Dinge keine Geschichten mehr oder sie kommen gar nicht erst zur Sprache. Was folgt ist Sprachlosigkeit oder Ironie.
Wir wollen und können von der abstrakten Moderne und den gleichgeschalteten Räumen nicht noch weiter abstrahieren.
Wir mögen die Dinge und lieben das Leben mit ihnen.
Notwendigkeiten müssen nicht versteckt werden, stattdessen bildet der Umgang mit ihnen einen Ansatz unserer architektonischen Arbeit. So arbeiten wir daran, dass bei uns Fenster weiterhin geöffnet werden dürfen, sei es im Bürogebäude, im Hotel oder im Wohnhaus. Notwendigkeiten sichtbar zu belassen erzeugt eine Vertrautheit. Dachüberstände sind meist sinnvoll und auch in Form zu bringen, Regenrinnen sind nicht nur lästig, Fensterbänke kein notwendiges Übel, sie geben dem Auge Halt und der Öffnung eine Orientierung.
Unsere Bauten und Entwürfe sind konkrete Reaktionen auf Aufgaben unterschiedlicher Bauherren, Orte, Programme und Planungskulturen. Sie sind das Ergebnis der Arbeit am Verständnis der Zusammenhänge von Kontext, Ort, Funktion, Konstruktion und Material.
Unsere Entwürfe entstehen aus der Verkettung von Argumenten und Entscheidungen, sie sind das Ergebnis eines Prozesses von Analyse und Verdichtung.
Eine spezifische, sinnlich aufgeladene Neutralität als Eigenschaft architektonischer Form ist das Ziel unserer Arbeit.
Wir wollen den Benutzer mit unserer Architektur nicht einschränken und bevormunden, sondern seinem Leben Raum geben. Wir fragen nach der Angemessenheit jeder Intervention, sowohl architektonisch, als auch städtebaulich. Wir schätzen Rücksichtnahme, Rücksicht auf die Wünsche der Nutzer, Rücksicht auf die Wirkung der benachbarten Bebauung.
Wir sind nicht bereit, uns dem Konsens zu beugen, etwas schön finden zu müssen, das wir nicht als schön empfinden. Empfinden folgt dem Wahrnehmen, und für die Wahrnehmung benötigen wir unsere Sinne. Viele Entscheidungen sind heute rein von der Vernunft gesteuert, sowohl von der rationalen als auch von der „irrationalen“ Architektur, jede auf ihre Weise. Aber wenn die Wahrnehmung dabei vergessen wird und wenn ich wahrnehme, dass mein Verstand zunehmend getäuscht oder irritiert wird, dann fühle ich mich unwohl und in meinem Leben eingeschränkt.
Wir sind weder Asketen, die sich das Gefühl abgewöhnt haben, noch sind wir bunte Vögel oder müssen uns von etwas befreien. Was uns treibt, ist ein Bedürfnis nach Konkretion und dem mit ihr verbundenen Leben!
Zum Leben gehört für uns auch das Charakteristische eines jeden Materials, Holz riecht anders als Metall, Glas kann spiegeln aber auch durchsichtig sein, Stein kann kühl sein, Kies knirscht... Jedes Material hat Eigenschaften, die wir kennen und so einsetzen wollen, wie wir es für sinnvoll halten. Wenn das Material an sich nicht schön ist, ist es sehr schwer, damit ein ansprechendes Gebäude zu errichten. Aber leider ist auch der Umkehrschluss kein Garant für ein schönes Gebäude. Es ist wie beim Kochen.
Es sind auch die kleinen Dinge, auf die es ankommt.